Um die Dimension des Themas zu verstehen, muss man zunächst einen Schritt zurückgehen, zu den Anfängen des Internets. In den neunziger Jahren wurde dieses kommerziell nutzbar, zunächst aber nur zurückhaltend eingesetzt, etwa für E-Mails, Chat-Foren oder simpel gestaltete Webauftritte. Grosse Firmen und auch die Medienbranche unterschätzten jahrelang das Potenzial und die künftige Bedeutung des Netzes.
Als Infrastruktur für die Datenübertragung dienten damals wie vielerorts noch heute Kupferkabel, die auf der letzten Meile die Haushalte mit dem nächsten Knotenpunkt des Internets verbinden. Das ist aber auch das Einzige, was im Netz in den vergangenen 25 Jahren gleich geblieben ist. Videotelefonie, Musikstreaming und die Nutzung von Datenwolken haben sich geradezu explosionsartig vermehrt und werden qualitativ immer besser – verlangen aber auch immer höhere Bandbreiten. Die Infrastruktur dürfte in den kommenden Jahren noch stärker beansprucht werden: Die Telekommunikationsfirma Cisco erwartet eine knappe Verdreifachung des Datenvolumens bis 2018, wobei Videos dann einen Anteil von 80 Prozent ausmachen dürften.
Dass immer mehr Nutzer das Internet für immer datenintensivere Dienste brauchen und somit ihre Internetanschlüsse vollumfänglicher ausreizen, stellt die Telekommunikationsfirmen vor Probleme. Sie als Anbieter müssten allmählich die bestehende Infrastruktur, insbesondere die Hauptachsen des Netzes, ausbauen, um dem Wandel gerecht zu werden. Wie eine Autobahnstrecke, die im Laufe der Zeit immer beliebter geworden ist und irgendwann erweitert werden sollte, damit Staus vermieden werden, müssten die Netzanbieter in neue Leitungen investieren. Dafür wollen sie aber nicht alleine zahlen und argumentieren, die eigentlichen Profiteure einer schnelleren Infrastruktur seien grosse IT-Konzerne wie Amazon, Google – oder der in den USA äusserst beliebte Streaming-Dienst Netflix. Netflix überträgt TV-Serien und Filme per Internet und beansprucht dafür etwa ein Drittel der in den USA verfügbaren Datenbandbreite.
Wer viel Kapazität nutze, müsse auch dafür zahlen, fordern die Netzanbieter und lassen ihren Worten zurzeit in den Vereinigten Staaten Taten folgen: Der amerikanische Telekommunikationskonzern Comcast hat Netflix aufgefordert, zusätzliche Gebühren für den reibungslosen Transfer seiner Streaming-Dienste zu zahlen – also dafür, dass die Videos mit kontinuierlichem Datendurchsatz und ohne Ruckeln beim Endkunden ankommen. Um den Druck auf Netflix zu erhöhen, hat Comcast seit Herbst 2013 die Übertragungsgeschwindigkeit für Netflix' Inhalte reduziert, ähnlich wie auch die Anbieter AT&T und Verizon. Netflix hat schliesslich im Februar dem Druck nachgegeben – und profitiert seitdem von rasant schnellen Übertragungsgeschwindigkeiten bei Comcast (siehe Grafik).
Fast gleichzeitig hat die amerikanische Federal Communications Commission (FCC), also die staatliche Aufsichtsbehörde über die Kommunikation, einen Vorschlag zur Reform des Telekommunikationsgesetzes erlassen, um «das freie und offene Internet» zu sichern. Mit diesem würde das Verhalten von Comcast legalisiert. Das geplante Gesetz würde es Netzanbietern tatsächlich erlauben, das Internet zu einer zweispurigen Datenautobahn umzubauen: einer Spur für den normalen Verkehr und einer besonders schnellen, qualitativ besseren, aber gebührenpflichtigen Fahrbahn für Konzerne. Allerdings müssten derartige Bevorzugungen öffentlich gemacht werden und dürften Dritte nicht benachteiligen, wendet die FCC ein. Damit würden die USA als erstes Land weltweit mit dem Grundsatz der Netzneutralität brechen.
Aufschrei im Netz
Eine bemerkenswert breite Front hat sich innerhalb kürzester Zeit gegen die Pläne der FCC gebildet: In einem offenen Brief an die Behörde warnen 150 Technologiefirmen wie Amazon, Google, Facebook oder auch Netflix vor einer Zweiklassengesellschaft im Netz. Sie argumentieren, Startups wären so auf langsamere Datenleitungen beschränkt, was Innovation und Wettbewerb verhindern würde. Bisher profitieren besonders neugegründete Firmen davon, dass sie im Netz die gleiche Infrastruktur nutzen können wie etablierte Technologiekonzerne.
Quelle: M.L. in NZZ (siehe auch 1. Teil vom 1. September)
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