Montag, 19. Januar 2015

Internet, bitte bevormunde uns

Hat andere Qualitäten:
miteinander fernsehen (1958).
«Man schaltet den Fernseher ein, um sein Gehirn abzuschalten. Und man schaltet den Computer ein, um sein Gehirn einzuschalten», sagte der 2011 verstorbene ehemalige Apple-Chef Steve Jobs an der Mac World 2004. Eli Pariser widerspricht ihm, wenigstens teilweise: «Die personalisierte Filterung wird immer besser, und so werden wir immer weniger Energie für die Auswahl eines bestimmten Inhalts aufbringen werden.»

Angefangen hat die Bevormundund mit der Lancierung von Google Instant im Jahr 2009: Die Suchmaschine gibt schon bei der Eingabe vor, zu wissen, was man sucht. Nach Einschätzung von Sheryl Sandberg, Facebooks Nummer 2, kommen uns bereits in drei bis fünf Jahren Websites, welche nicht auf den einzelnen Nutzer abgestimmt sind, «seltsam veraltet» vor.

Montag, 5. Januar 2015

Ist die Privatsphäre noch zu retten?

Foto:  Nimkenja
Unter diesem provokativen Titel publizierte die Neue Zürcher Zeitung einen Meinungsbeitrag von Béatrice Acklin Zimmermann:

In vielen Barockkirchen begegnet einem oberhalb des Hauptaltars das «Auge Gottes», ein Dreieck mit einem stilisierten Auge in der Mitte, das symbolisieren soll: Gott ist überall, er sieht alles. An die Stelle des allgegenwärtigen «Auges Gottes» scheint heute das Auge des Internets getreten zu sein: Ob Nacktbilder von sogenannten Prominenten oder Einkaufs- und andere Vorlieben, nichts und niemand scheint dem wachsamen Blick des Internets zu entgehen. Jede aufgerufene Website, jede geschriebene E-Mail, jede verschickte Foto – nichts bleibt im Internet verborgen oder vergessen, was ich tue und treibe, ist seinem panoptischen Blick ausgeliefert.

Totale Transparenz
Nicht mehr das «Auge Gottes», sondern nunmehr der fremde Blick des Internets scheint heute Disziplinierungsmittel und moralischer Imperativ für die totale Transparenz zu sein. Diesen Eindruck vermittelt zumindest die Aussage von Google-Chef Eric Schmidt: «Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun.» Noch zugespitzter äussert sich der Philosoph und Publizist Ludwig Hasler über den «fremden Blick des Internets»: «Er ertappt mich in meinem bewusstlosen routinierten Treiben. So ertappt, muss ich wählen: Stehe ich zu dem, was ich tue? Muss ich mich unter dem fremden Blick ändern?» Das Internet als quasireligiöse Instanz, die mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe und in welcher Hinsicht ich mich ändern bzw. bekehren muss?

Wer im Internet einkauft, Geldüberweisungen tätigt und Flüge bucht, hinterlässt eine so lange Datenspur, dass einem die Aufregung über die in früheren Jahren im Rahmen der Volkszählungen gesammelten Datenmenge geradezu lächerlich vorkommen muss. Im Unterschied zu damals hat sich
heute über die ganze Gesellschaft ein unsichtbares Überwachungsnetz gespannt, das die Geheimhaltung persönlicher Informationen und Bewegungen erschwert und eine Aufweichung der Privatsphäre bewirkt. Gleichzeitig ist eine Dauerpräsenz von Privatem im öffentlichen Bereich zu beobachten: Der Beichtstuhl wird in die Talkshow verlegt, die Absolution erfolgt vor laufender Kamera – Stichwort «Selfiegate».

Gefahren drohen der Privatheit gleich von mehreren Seiten: Ob auf Bahnhöfen, Autobahnen oder Schulhöfen, ob ich gehe oder liege, der Blick der zahlreichen Videoinstallationen beobachtet mich, sobald ich die vor die eigene Haustüre trete. Und die schöne neue Welt der Biometrie erlaubt nicht nur zahlreiche persönliche Informationen über die Inhaber des elektronischen Reisepasses, sondern sie lässt aufgrund des genetischen Fingerabdrucks auch Aussagen über deren Verwandte zu. Auch die Tatsache, dass mit der Revision des Gesetzes über die Post- und Fernmeldeüberwachung die Vorratsdatenspeicherung erheblich ausgebaut worden ist, hat nur verhaltenen Protest hervorgerufen. Die Über wachung privater Freiheit und das Observieren durch einen Staat, in dem immer mehr Bürger eine Art Sicherheits agentur sehen, scheint gesellschaftlich grösstenteils akzep tiert zu sein.
Steht die Privatheit angesichts all der Bedrohungen, durch den Staat ebenso wie durch Private, nicht auf gänzlich verlorenem Posten? Befinden wir uns auf dem Weg in eine «Post-privacy-Gesellschaft»? Ist Privatheit überhaupt noch zeitgemäss, wo der Zeitgeist laut dem Soziologen Wolfgang Sofsky Bekanntheit doch weitaus höher schätzt als Privatheit?

Privatheit ist der Feind jeder Diktatur
Wer Privatheit als überholt und nicht mehr zeitgemäss be trachtet, verkennt, dass es dabei nicht um Geheimniskrämerei oder Gesellschaftsmüdigkeit, sondern um einen wesentlichen Teil der persönlichen Freiheit geht. Dass ohne das Grundrecht auf Privatheit eine freiheitliche Gesellschaft nicht möglich und Privatheit der Feind jeder Diktatur ist, zeigt sich an tota litären Staaten: Wer sich ständig überwacht und beobachtet weiss, sieht sich zur Konformität gezwungen.

Die Reservate der Privatheit ermöglichen es hingegen, frei von fremden Einflüssen aller Art Entscheide autonom zu tref fen, persönlichen Vorstellungen ungehindert nachzugehen und Dinge zu sagen, die sich nicht dem Diktat der Political Correctness unterwerfen. Wer sich, und sei es auch nur aus Bequemlichkeit oder Trägheit, der zunehmenden Ausdün nung von Privatheit nicht entgegenstellt, nimmt in Kauf, dass Autonomie und Selbstbestimmung ihre Grundlage verlieren. Es muss zu denken geben, dass das Bewusstsein für den Verlust der Privatheit bei einer breiten Öffentlichkeit kaum vorhanden ist und die hiesige Politik wenig zu beschäftigen scheint. Wird gelegentlich doch die Forderung nach vermehrtem Schutz der Privatsphäre erhoben, so bleibt diese isoliert und auf einen einzelnen Bereich beschränkt, wie entsprechende Bemühungen im Zusammenhang mit der Aufweichung des Bankgeheimnisses gezeigt haben.

Es wäre deshalb zu wünschen, dass sich eine stabile Lobby für das Recht auf Privatheit formiert, die gegen den Zeitgeist den Schutz der Privatheit energisch, konsequent und umfassend verteidigt.