Freitag, 14. Dezember 2012

Die Gefahr der Verengung auf eine einzelne Identität

Eli Pariser (Foto: Kris Krug)
Gemäss Recherchen von Eli Pariser in seinem Buch «Wie wir im Internet entmündigt werden», arbeiten die Internetkonzerne an einer neuen Generation Internetfilter. Diese schaue sich an, «was Sie zu mögen scheinen – wie Sie im Netz aktiv waren oder welche Dinge oder Menschen Ihnen gefallen» – und ziehe entsprechende Rückschlüsse. Diese Technik produziere und verfeinere ohne Unterbruch eine Theorie zur Persönlichkeit des Nutzers und sage voraus, was dieser als Nächstes tun wolle. «Zusammen erschaffen diese Maschinen ein ganz eigenes Informationsuniversum für jeden von uns (...) – und verändern so auf fundamentale Weise, wie wir an Ideen und Informationen gelangen.»

«Man schaltet den Fernseher ein, um sein Gehirn abzuschalten. Und man schaltet den Computer ein, um sein Gehirn einzuschalten», sagte der 2011 verstorbene Applechef Steve Jobs an der Mac World 2004. Eli Pariser widerspricht ihm, wenigstens teilweise, wenn er schreibt: «Die personalisierte Filterung wird immer besser, und so werden wir immer weniger Energie für die Auswahl eines bestimmten Inhalts aufbringen werden.»

Seit 2009…
Die Bevormundung wurde mit der Lancierung von Google Instant im Jahr 2009 erstmals sichtbar: Die Suchmaschine gibt schon bei der Eingabe vor zu wissen, was man sucht. Nach Einschätzung von Sheryl Sandberg von Facebook kommen uns bereits in drei bis fünf Jahren Websites, welche nicht auf den einzelnen Nutzer abgestimmt sind, «seltsam veraltet» vor.

Je länger, desto mehr «ist es auch immer unwahrscheinlicher, dass wir mit verschiedenen Ansichten und Meinungen in Kontakt kommen.» Pariser warnt ausserdem vor Personalisierungsfiltern, welche bald auch Empfehlungen anderer aussortieren könnten.

Alte Medien sind anders
Natürlich stellt sich die Frage, ob nicht auch traditionelle Medien Inhalte ausklammern, zum Beispiel was nicht in ihr Konzept passt, oder das, was in den Augen der Medienmacher den Leser nicht interessiert? Ein Redaktor macht nach Pariser seine Arbeit nicht richtig, «wenn die Zeitung nicht zu einem gewissen Grad die Nachrichten des Tages repräsentiert.»
Ausserdem weiss der Konsument von Zeitungen, Onlinemedien und Fernsehsendern durch welche Filter diese die Welt betrachten. Die NZZ ist freisinnig oder das Schweizer Fernsehen und der Tagi links.

Die Internetfilter jedoch sind anders, unsichtbar: «Google sagt Ihnen nicht, für welche Person es Sie hält und warum es Ihnen die Ergebnisse zeigt, die Sie auf Ihrem Bildschirm sehen. Sie wissen nicht, ob die Annahmen zu Ihrer Person stimmen.»

Zwar lautet Googles Firmenmotto «Don't be evil». Auch Pariser glaubt nicht, dass das Unternehmen böse ist. Im Buch zitiert er aber einen Google-Suchmaschinenoptimierer mit den Worten: «Wir bemühen uns, nicht böse zu sein. Aber wenn wir wollten – oh Mann, dann könnten wir's so richtig.»

Das liebe Geld
Google und Facebook, um die beiden grössten zu nennen (aber auch z.B. Amazon) hängen sehr stark von gezielter, stark relevanter Werbung ab. Inhaltlich passende Werbeanzeigen, die Google neben den Suchergebnissen und auf Websites platziert, der Kern des Einnahmemodells. Auch bei Facebook ist Reklame die einzige bedeutende Einnahmequelle.

Die Personalisierungsmethode Googles stützt sich auf den Verlauf und die Klicksignale, aus welchen geschlussfolgert wird, was wir mögen oder nicht eben nicht mögen. Die Methode Facebooks ist grundlegend anders: Zwar verfolgt auch das Netzwerk die Klicks der Benutzer, aber es erschliesst sich deren Identität vor allem, «indem es sich anschaut, welche Links wir teilen und mit wem wir es zu tun haben.» Als alternative Suchmaschine kann Ixquick empfohlen werden, welche als Metasuchmaschine die Resultate vieler anderen transparent zusammenstellt und keine Benutzerdaten speichert.

Mangelhafte Methoden
Beide Personalisierungsmethoden geben aber nicht richtig wieder, wer wir sind. Facebook-Gründer Zuckerberg behauptet, wir hätten nur eine Identität. Dies ist jedoch grundlegend falsch, wie ich bereits vor drei Jahren in «Identitäten im Internet – das Ende der Anonymität?» dargelegt habe. Eigenschaften von Menschen sind, wie Pariser schreibt, «auffallend fliessend». Selbst tief verwurzelte Charakterzüge können – das wissen Psychologen – je nach Situation verändert werden. Dieses «Problem der einen Identität» zeigt, wie gefährlich es ist, persönliche Details an Firmen weiterzugeben, die eine falsche Vorstellung von Persönlichkeiten haben: «Uns stehen verschiedene Identitäten zur Verfügung, um mit den Anforderungen verschiedener Rollen und Gruppen fertig zu werden. Und es geht etwas verloren, wenn innerhalb der Filter Blase alles gleichgemacht wird», warnt Pariser.

Für Pariser drängt die Filter-Blase die Bürger im Endeffekt weg von der Demokratie. Diese könne nur funktionieren, wenn die Bürger in der Lage seien, über ihre Eigeninteressen hinauszudenken. Die Filter drängen uns in die entgegengesetzte Richtung – sie vermittelt den Eindruck, als sei unser Eigeninteresse alles, was es gibt. «Das mag eine tolle Erfindung sein, um Menschen zum Onlineshopping zu motivieren, es ist aber kein guter Weg, um Menschen gemeinsam bessere Entscheidungen treffen zu lassen.»

Seit Nixon ist das Problem bekannt – im Prinzip
Vor fast 40 Jahren plädierte die US-Regierung unter dem damaligen Präsidenten Richard Nixon für die Einforderung der echten Kontrolle über unsere Daten (Fair Information Practice). Diese umfasst folgende Punkte:
  • Wir sollten wissen, wer welche persönlichen Daten über uns hat und wie diese verwendet werden.
  • Wir sollten verhindern können, dass zu einem bestimmten Zweck gesammelte Informationen für einen anderen Zweck eingesetzt werden.
  • Der Nutzer muss falsche Informationen über sich korrigieren können.
  • Die gesammelten Daten sollten sicher sein.
Leider aber warte die Gesellschaft 2012 immer noch darauf, dass diese Prinzipien durchgesetzt werden. Auch wurde die Frage nie geklärt, wie diese Prinzipien umgesetzt werden sollen; wer und mit welchem Recht er die Oberaufsicht habe.


Bibliographie
• Eli Pariser: Filter Bubble: Wie wir im Internet entmündigt werden. (Hanser, 2012)
• Etienne Ruedin: Identitäten im Internet – das Ende der Anonymität? (Benziger, 2009)
• siehe auch Artikel:

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