Sonntag, 5. Dezember 2010

Vorsicht ist eine Lüge - Gefühl für Privates geht verloren

Bis vor kurzem galt es als fragwürdig, wenn man im Internet seinen vollen Namen nannte. Diesen Punkt haben wir um tausend Meilen überschritten.

Diese Warnung wird wohl verpuffen, so wie die Mahnungen von Jugend- und Datenschutzorganisationen, die eigene Identität im Internet möglichst nicht preiszugeben. Wer heute bei Facebook, Twitter und Co seine Identität verschleiert, erschwert die Nutzung der Dienste - und verhält sich inadequat. Die dem zugrunde liegende Geisteshaltung goss kürzlich Google-Chef Eric Schmidt in eine erschreckend dumpfe Formel: «Wenn es etwas gibt, von dem man nicht möchte, dass es die Welt erfährt, dann sollte man es nicht tun.»

So denken immer mehr Politiker, Unternehmer, aber auch der gläserne Bürger: Der ausgelebte Exhibitionismus ist längst zum Standard geworden. Das Gefühl dafür, wo und wann Privates lieber privat bleiben sollte, geht zunehmend verloren. Im Januar verbreitete der Hightech-Branchenverband Bitkom die empirisch gesicherte Erkenntnis, dass 23 Prozent aller Deutschen im Internet «Falschangaben» über sich machen - so, als sei das ein Skandal.

Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung zu der Studie: «Von denen, die im Web schon einmal geflunkert haben, hat jeder zweite diese Angaben manipuliert. Jeder dritte gab eine falsche Telefonnummer an. Jeweils jeder vierte macht falsche Angaben zu seiner E-Mail-Adresse, seinem Einkommen und körperlichen Eigenschaften.»

So ein Glück aber auch, denn solche Daten haben im Web nichts zu suchen. Die Schlagzeile müsste also so lauten: «Nur 23 Prozent gehen im Web vorsichtig mit ihren Daten um.» Oder so: «77 Prozent setzen sich im Internet fahrlässig Gefahren aus.» Wer wäre vor fünf Jahren auf die Schnapsidee gekommen, irgendjemandem im Web sein Gehalt mitzuteilen? Glaubt man dem Bitkom, tun dies nun drei Viertel aller Nutzer ohne Bedenken.

Immerhin ist auch den Experten klar, dass man im Web nicht unbedingt alles preisgeben sollte: «Internet-Surfer sollten bewusst entscheiden, wem sie welche Details preisgeben. Man muss nicht jedes weiße Feld ausfüllen», rät deren Chef August-Wilhelm Scheer.

In der Wahrnehmung vieler Social-Net-Fans aber ist das ja auch so: Sie teilen ihre Geheimnisse nur mit Freunden.

Mitunter mit allen 38.721.

Quelle: Der Spiegel 20. Februar 2010

Bild: Falle Internet 8QZMBBMSP4CZ

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