Donnerstag, 15. April 2010

Laxer Umgang mit der Intimität I

Soziale Online-Netzwerke wie Facebook fördern den laxen Umgang mit der Intimität und der Privatheit. Die Neue Zürcher Zeitung sprach kürzlich im Feuilleton gar von digitalem Exhibitionismus – ist der Vorwurf berechtigt?

Sie heissen Facebook, MySpace oder Xing, ihre Nutzer zählen nach Millionen, und sie wachsen beständig. Mehr noch als die vielen kleinen, oft einem Themengebiet verpflichteten Weblogs stehen jene massentauglichen Plattformen für die Attraktivität des Web 2.0, für jenes Internet der zweiten Generation, das die Surfer zum Mitmachen einlädt. Wer sich dort anmeldet, erhält Speicherplatz für Erlebnisberichte, Fotos und Videos. Sinn des Unternehmens ist, Daten mit anderen zu teilen, weshalb Facebook und Co. gern auch als «Social Web» oder «Netzgemeinschaften» figurieren. Die Registrierung kostet nichts, jedenfalls kein Geld, der Nutzer zahlt mit der Preisgabe seines Namens, seines Alters und Geschlechts sowie der Angabe einer E-Mail-Adresse. Dem sollen möglichst umfangreiche Zusatzangaben folgen. Die Identität hinter einem Pseudonym zu verstecken, ist möglich, wird aber nicht gern gesehen. Ohnehin erscheint ein Inkognito als systemwidrig, da es auch darum geht, gefunden zu werden, sei es von alten Freunden oder von neuen Geschäftspartnern.

Entblössung beginnt im Banalen
So beliebt die neuen digitalen Netzwerke zumal unter jungen Leuten sind, so schlecht ist ihr Ruf unter Datenschützern. Als allzu freizügig erscheint, was manches Mitglied dort verbreitet. Der Bericht vom Alkoholexzess am Wochenende, die Foto von der Freundin in verfänglicher Lage – das mag, wenn es in der persönlichen Rubrik publiziert wird, als harmlos empfunden werden. Man hatte Spass, und nun kostet man noch einmal nach. War die Samstagnacht nicht lustig? Und wie! Es geht sogar noch lustiger, will sagen anstössiger, je nach Geschmack und Toleranz. Studentische Gruppen, die Frauen zu «Sperma-Partys» einladen oder die einer Vorliebe für Urin als «Natursekt» frönen und dies mit Bildern dokumentieren, legen bereitwillig von ihren Freizeitaktivitäten Zeugnis ab. Rege genutzt wird auch der bei Facebook zugeschaltete Dienst eines Drittanbieters, der mit den Worten lockt: «Wir veröffentlichen eure SMS, die zu gut, witzig oder krass sind, um nur von euch alleine gelesen zu werden.» Witzig ist da nicht allzu viel, aber «krass» trifft die Sache schon recht gut.

Es sind nicht allein die kalkulierten oder auch einfach nur primitiven Schamverletzungen, die den Netzwerken den Ruf eingetragen haben, «digitalen Exhibitionismus» zu praktizieren. Die Entblössung beginnt schon früher. Viele Menschen finden ganz offenkundig nichts dabei, ihr persönliches Profil im Netz mit einer Fotografie von sich, mit der Angabe von Alter, Geburts- und Wohnort, Ausbildung und Arbeitgeber anzureichern und auch die Aufzählung der Hobbys und Vorlieben nicht zu vergessen. Wesentlich für den Betrieb sind «Statusmeldungen», die darüber informieren, was jemand gerade tut, wo und wie er sich befindet: das Banale als das Fundamentale. Intimes kursiert auf einer Plattform wie Xing, die dem Austausch von Geschäftskontakten dient, naturgemäss weit weniger als auf Facebook, MySpace oder den speziell für Schüler und Studenten gedachten Foren. Überall aber bildet die Chance, identifiziert zu werden, die Basis der ganzen Veranstaltung.
Quelle: Joachim Güntner in: NZZ

Wir berichteten bereits früher zum Thema: Rettet die Privatsphäre, Vom echten Wert von Freunden, La vie privée à 100% au résautage. Zudem gibt es unser Buch Identitäten im Internet – das Ende der Anonymität? zu kaufen.

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