Montag, 22. November 2010

Waisen der Informatik – Kinder lieben das Internet, die Eltern schauen lieber weg

Die Gefahren für Kinder im Internet werden in der Schweiz derzeit heftig diskutiert. Eine neue europäische Studie nährt die Vermutung, dass das Problem der sexuellen Übergriffe in Chatrooms nicht so gross ist, wie es in der derzeitigen Debatte erscheint, während andere Gefahren, die den Kindern mehr zu schaffen machen – Cybermobbing –, leicht übersehen werden. Eine weitere interessante Erkenntnis dieser Studie ist, dass viele Eltern nicht wissen, was ihre Kinder im Internet erleben.

Stefan Betschon schrieb Ende Oktober in der Neuen Zürcher Zeitung: Elternabend in einer Stadtzürcher Primarschule. Eine besorgte Mutter will wissen, wie es andere Eltern mit dem Internet halten. Sie habe ihrem Sohn Facebook verboten, er behaupte aber, dass alle anderen Kinder dieses soziale Netzwerk nutzten. Mein Sohn hat mir dasselbe erzählt, und alle seine Kameraden, die ich persönlich kenne, sind mit dem Internet aus eigener Anschauung bestens vertraut. Wie viele Fünftklässler denn Facebook nutzen dürften, will die Mutter wissen. Fragende Blicke, niemand erhebt die Hand. Einige der Eltern haben vielleicht tatsächlich keine Ahnung, was ihre Kinder im Internet treiben, andere sind unsicher, ob es denn politisch korrekt sei, den Kindern das Internet zu erlauben.

Wie Kinder vor den Gefahren des Internets geschützt werden können, ist eine Frage, über die in der Schweiz derzeit vielerorts debattiert wird. In der Sendung «Arena» des Schweizer Fernsehens herrschte am Freitag vergangener Woche quer durch alle Parteien seltene Einigkeit: Chatten im Internet sei für Kinder «brandgefährlich»; weil die Bundespolitik versagt habe, seien den kantonalen Polizeistellen die Hände gebunden, und sie könnten die Kinder nicht mehr vor Pädophilen schützen. (Ganzen Kommentar lesen)

Die erwähnte breit angelegte Studie der EU gibt Auskunft über die Art und Weise, wie die Kinder das Internet nutzen. 12 Prozent der Kinder haben im Cyberspace auch negative Erfahrungen gemacht. Doch auch wenn ihnen der Anblick von Laptop, Internet-Router und Handy so vertraut ist wie derjenige von Playmobil und Lego, fällt ihnen das Hineinwachsen ins digitale Leben trotzdem nicht leicht. Eltern und Lehrer sind keine Digital Natives und haben es deshalb besonders schwer, den Kindern die nötige Begleitung zukommen zu lassen.

Schlimmer noch: Viele Eltern wissen nicht, was den Kindern im Internet widerfährt: 41 Prozent der Eltern, deren Kinder angaben, Sexbildchen gesehen zu haben, glauben, dass ihr Kind solches noch nie zu Gesicht bekommen habe; mehr als die Hälfte der Eltern, deren Kinder Sex-Nachrichten zugeschickt erhielten, geben an, dass ihr Kind davon verschont geblieben sei.

Die Autoren wollen in einer weiteren Publikation darlegen, wie den heranwachsenden Digital Natives am besten zu helfen sei. Doch ereits jetzt fordern sie, dass die Vorbereitung der Kinder fürs digitale Leben eher früher als später beginnen soll. Das ist eine grosse Herausforderung für Schule und Elternhaus - wobei auch den Eltern die nötigen Handreichungen gegeben werden müssen.

Mehr zur Studie: Kinder und die Schattenseiten des Internets
Bilder: Imago; Philognosie

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